2. Was und wer war Krautrock?
Interviews

 

Die Gruppe EMBRYO wurde 1969 von Christian Burchard und Edgar Hofmann gegründet.
Seit 1976/77 ist Michael ("Michi") Wehmeyer als Keyboarder dabei und auf wichtigen Veröffentlichungen der Gruppe (wie "Embryo´s Reise", 1979) zu hören. Das folgende Interview führte der Autor dieser Website im November 2005 mit dem Musiker.
MW = Michael Wehmeyer / MM = Manfred Miersch

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MM: Wann hast Du denn angefangen bei EMBRYO mitzuspielen?

MW: Das muß ungefähr 1977 gewesen sein, weil, ich weiß noch, daß es dann doch ziemlich schnell schon Richtung Indienreise ging. Also nach einigen Tourneen hier in Deutschland wurde das dann schon geplant und ich denke mir zwei Jahre waren vielleicht davor, weil ´79 ging es dann nach Indien. Ich schätze ´77 wird es irgendwie gewesen sein, so in der Gegend.

MM: Wie lief das denn ab? Also ich nehme mal an, damals gab es einen regen Austausch zwischen Musikern von Gruppen, die sich so kannten. Ging das ganz locker, daß man dich dann gefragt hat?

MW: Das weiß ich noch ziemlich genau, weil ich war nach München gegangen um eigentlich was mit Film zu machen und bin dann beim Theater gelandet und dann über den Bassisten von dieser Multimedia-Gruppe in die WG der Musiker gekommen und wir haben dann SEMIRAMIS gegründet. Wir waren einige Male Vorband von EMBRYO, waren die guten Bekannten, das heißt die kamen dann oft zu uns rausgefahren. Dann habe ich mit Dieter Miekautsch, meinem Vorgänger, stundenlang vierhändig gespielt und eines Tages meinte dann Dieter zu mir „Du, - du wirst mein Nachfolger bei EMBRYO!". Ich war ganz überrascht, daß er aussteigen wollte und es ist dann aber wirklich passiert. Er ist dann wirklich konsequent ausgestiegen, er hat sich das vorgenommen und dann wurde gesagt „Ja, du kannst spielen" und das habe ich dann erst immer nicht so ernst genommen, bis Christian (Burchard) dann anrief und sagte „Wo bist du? Wir müssen unbedingt proben, wir fahren in drei Tagen los!". Und damit ging das ganze los. Das endete dann ... - oder also ich fuhr dann hin und dann mußte ich erstmal mit Christian fünf Stunden ununterbrochen spielen, das war sozusagen Konditionstraining (lacht). Das Konzert danach kam mir ziemlich kurz vor!

MM: Nicht schlecht! Aber du hast ja eine entsprechende Ausbildung als Keyboarder, oder? Warst du nicht irgendwann mal an einer Musikschule?

MW: Ja, ich habe am Anfang Klassik zu Hause gehabt, dann hatte ich die Band BLACK DEVILS, das war der erste Schlagzeuger mit Doppelbasedrum. Da haben wir dann HENDRIX und CREAM gespielt. Ich war dann der Organist, der eigentlich garnicht in die Richtung passte, aber da gab es schon kleine Tourneen rund um Bielefeld und ich bin dann nach München gegangen und war dann auch kurz auf der Jazz-Schule, weil die gerade da eröffnete. Das war so eine Sache von unserer Band, SEMIRAMIS, da war die Hälfte auf der Jazz-Schule und hatte halt ´rumgeforscht, aber wir sind dann nach einem Jahr wieder ausgestiegen, weil wir hatten ja schon eine Band und wir hatten schon unsere Stücke und das war eigentlich nur noch so ein kleines „Extra-Lernen" an der Seite und eben auch mal gucken was in München so mal los ist, wen man noch so trifft.

MM: Was ja auffällt ist, daß bei den Musikern von EMBRYO Leute dabei waren, die offensichtlich ziemlich professionell spielen konnten. Also nicht so, wie bei anderen Gruppen dieser Zeit, wo dem fröhlichen Dilettantismus gehuldigt wurde. Die Leute bei EMBRYO die waren (und sind) ja doch schon ziemlich virtuos bei der Sache!

MW: Ja, das kommt glaube ich dadurch, daß Christian vorher schon Jazz-studiert war mit MAL WALDRON. Er hat den getroffen in Hof, der war gerade nach Deutschland gekommen und Christian hat sich dann gleich an ihn gehängt und hat dann für ihn die Konzerte gemacht. Er hat dann sozusagen schon damals gelernt, wie man Konzerte macht. Sie sind zwei Jahre mit ihm ´rumgefahren und dann begann halt diese Rock-Zeit und so wie er erzählt hat, hat der MAL dann gesagt, naja also er tritt alleine auf, es ist mehr Gage, und er weiß jetzt Bescheid oder die Jazz-Clubs in Europa wissen, er ist da und können ihn buchen und hat also Christian als seinem „Sohn" gesagt: „mach doch lieber die Musik, die jetzt anliegt", und das war Rockmusik. - Und hat ihn sozusagen losgeschickt - und dann kam Edgar Hofmann auf irgendeine Weise auch nach München und hat dann mit ihm zusammen das gegründet, also man könnte sagen, Edgar hat ihn dann gefragt eine Band zu machen, d.h. eigentlich ist der Ur-EMBRYO der Edgar Hofmann. Er ist auch der Älteste von uns, ich glaube inzwischen ist er schon 60 oder so oder drüber. Lange nicht mehr gesehen, ich weiß es jetzt nicht genau. - So wurde mir das erzählt, also da war ich ja noch nicht in der Band. Das war ja noch die Anfangszeit. Es gibt noch Aufnahmen wo Christian bei AMON DÜÜL mitspielt, das war wahrscheinlich so der Ausstieg aus der Jazz-Szene erstmal. Er hat sich auch umgeschaut und da war natürlich die wildeste Band, das waren die AMON DÜÜLs in München, aber ich denke mir, er hat von vornherein schon darauf abgezielt eine eigene Band machen zu wollen.

MM: Offensichtlich gab es einen gegenseitigen Austausch: Lothar Meid und Dieter Serfas waren, glaube ich, auch mal bei EMBRYO in der frühen Besetzung? Wie ist denn, um mal gleich in die Gegenwart zu blenden, dein aktueller Status, würdest du dich noch als Mitglied der Gruppe EMBRYO betrachten oder eher als eine Art „ruhendes Mitglied", oder wie ist das?

MW: Na ich gehöre sozusagen zu der alten Familie von damals und ... - ja, ich habe vor 2-3 Jahren mal eine Tour nach Istanbul mitgemacht, über Griechenland und Italien, aber ansonsten ist es eigentlich so: ich spiel mit denen, wenn die nach Berlin kommen. Auf Tournee, das ist ein bischen schwierig jetzt für mich wegen der Familie und naja, gut, die Bedingungen sind immer noch so wie damals und das ist natürlich jetzt ganz extrem auch, da gibt es auch extreme Meinungen dazu sogar in der jungen Band, aber Christian möchte halt gerne den 68er-Stil durchhalten. Das schafft er auch bis jetzt noch ganz gut.

MM: Was gibt es da für Meinungsunterschiede?

MW: Naja, z.B. daß man nicht unbedingt immer da spielen muß, wo es am wenigsten Geld gibt.
[...]

MM: Du hast die ganze Zeit bei EMBRYO dort Orgel und Keyboard gespielt, hast du da eigentlich irgendwelche Präferenzen gehabt? Hast du ein "Lieblings-Keyboard", auf dem du am liebsten gespielt hast?

MW: Ja, ich meine, damals war das FENDER RHODES ziemlich in, das mußte man sozusagen dabei haben, weil das war dynamisch und der Sound war modern und es war ja auch so ein bischen Jazz-Rock-Zeit in den befreundeten Gruppen. Dann, dadurch daß das mit Funk zusammenhing, den man noch benutzte, war dann auch das HOHNER D6 da, also Spinett-Sound war gefragt, und dann hatte ich auch ein paar Jahre eine HAMMOND ORGEL. Also es war schon immer die Entscheidung letztendlich Klavier oder Orgel, also die grundlegenden Tatatur-Instrumente, und der Synthesizer wurde zwar dann benutzt, aber es kam ja auch immer ein bischen so wie als wenn man so einen anderen Raum im Konzert hinbaut. Weil: EMBRYO war nie so die Band, die dann "Flächensound" braucht oder was ein Synthesizer so hergeben kann. Man konnte ihn im Endeffekt dann auch nur Soli-mäßig einsetzen oder perkussiv, eben wie das FENDER RHODES oder das D6 auch, so daß man mehr oder weniger immer wieder dahin kam: ja, Synthesizer ist doch zu "Plastik", weil niemand anders benutzt den. Niemand anders arbeitet da auch hin, denn es geht eigentlich mehr um die Melodien und das ist das einfache klare Instrument, mit dem Verstärker. Das kann auch mal ein Verzerrer sein, natürlich, die Effektgeräte waren noch mit angesagt, aber es wurde nicht darauf hingebaut "ja, ich muß jetzt an der und der Stelle immer diesen Sound da fahren, damit die anderen da drüberspielen und Bescheid wissen", sondern ich konnte da an meinem Synthesizer auch Irgendwas einstellen, das war alls völlig egal. Nur es war halt immer vom Klanggefühl dieses "ja, das ist so ein anderer Raum, ein synthetischer Raum, der nie beantwortet wird von den anderen" und des wegen habe ich den nur so an der Seite benutzt.
Also Christian selber hatte mal für das Vibraphon so einen Synthesizer, den hat er dann mal kurz benutzt aber dann stand der mehr oder weniger in der Ecke. Er hat das also nie weiter verfolgt, man kam immer wieder auf die Basis zurück: entweder der Ton ist lang, wie bei der Orgel, oder ich schlage ihn an und er klingt aus. Das sind ja die beiden grundlegenden Keyboard-Sounds, die dann beim Synthesizer auch nur hinkommen. Und keiner war jetzt irgendwie begeistert "Wow, du hast du ja einen tollen Synthesizer-Sound aufgebaut!", das wurde sozusagen nur nebenbei beachtet und niemand sagte "Den mußt du unbedingt nochmal spielen!". Das war eher so: "Schön, daß du den heute Abend gespielt hast, ich hoffe, du wirst ihn nie wieder spielen und dir wieder was neues ausdenken!" (lacht)

MM: Was hattest du da für einen Synthesizer?

MW: Na das waren so KORG-Teile, - also so in der ersten Zeit. Diese ersten analogen Synthesizer, und als dieser YAMAHA DX7 herauskam, den habe ich mir nicht angeschafft, weil alle Keyboarder hatten den und kaum war man auf irgendeinem Festival konnte man den dann auch mal leihen, und von da her war der ja vorhanden, immer und überall. Alle anderen Keyboarder hatten diese Teile, diese neuen, und ich hab´ mir die dann immer geliehen mal für einen Gig, damit es mal was neues gab auf der Bühne.

MM: Jetzt wäre man praktisch schon bei den Stücken, bei der Instrumentierung. Wie habt ihr die denn eigentlich erstellt? Also interessant ist für mich immer auch der Faktor der Live-Improvisation, ob der eine Rolle spielt, also: wie sind die Stücke von euch aufgebaut worden? Hat sich da im Laufe der Jahre eigentlich was verändert? Gab es da irgend jemanden, der Vorgaben gemacht hat, also wie habt ihr das gemacht?

MW: Ja, so ganz am Anfang, als ich eingestiegen war, gab es sozusagen noch Gesangsstücke, weil Roman (Bunka) dann gesungen hat, und Christian hat auch hin und wieder gesungen. Da mußte man dann schon so ein gewisses Gerüst spielen, aber in der Improvisation konnte man das natürlich fallen lassen, und es gab eigentlich eine Menge von Themen, die jeder konnte, aber wann die im Konzert kamen, das war ungewiß. Das war nur so: wenn jemand die anspielt, dann mußte man ganz schnell reagieren und mitspielen. So daß, was also jeder konnte, etwas live einbringen in so eine Improvisation und sagen "O.k. jetzt reicht´s mir, ich will jetzt die Melodie spielen, ich glaube hier ist der Bogen zu Ende" und dann haben alle anderen auch grundsätzlich mitgemacht. Und so klang das dann für die Leute als wäre das arrangiert. Aber die Themen waren einfach vorhanden.
Manchmal gab es natürlich auch Intros, da hieß es dann "Gut, wir spielen das Stück erstmal", das hieß aber nur, wir spielen diese Thema, was jeder kann und danach, - gut, da sind wir in einer bestimmten Tonart oder wo auch immer, da geht die Improvisation los, und wann dann das Thema wiederkommt, oder ob wir dann vielleicht in ein anderes Stück ..., daß jemand in ein anderes Thema direkt ´reinspielt, das war vollkommen offen. Es war eigentlich nur so für den Moment, daß man ... man hat ein Stück beendet "ja, wie spielen wir jetzt weiter?", - da hat halt dann irgend jemand irgend eine Melodie angefangen, die jeder kannte, und dann wußten alle o.k. ja dann spielen wir halt jetzt das. Ganze Stücke, wo man sagen würde, wo auch der Mittelteil der Improvisation genau geklärt war, so nach dem Motto "da mach ich mein Gitarrensolo und danach macht niemand mehr ein Solo, weil dann spiel´ ich wieder das Thema", das gab es nicht.

MM: Also es war nicht so, daß dann irgendwie mal in bestimmten Phasen versucht wurde eine Platte dann live komplett irgendwie abzubilden, nachzuspielen?

MW: Nee, das auf keinen Fall. Also, wenn die Platte fertig war, wurde die sozusagen ..., dann kommt ja immer erst einmal das Probe-Exemplar, wo man gucken muß, ob auch alles wirklich gut drauf ist, kein Fehler drauf ist, das war sozusagen immer das letzte Mal, daß die Platte angehört wurde und danach war es eigentlich immer angesagt "Wir spielen die Stücke jetzt nicht mehr!". Weil, jetzt ist dieses Kapitel fertig, wir haben die Stücke lang genug live gespielt, wir haben sie aufgenommen, jetzt muß was neues kommen. Gut, da wurde natürlich doch mal hier und da dann immer wieder mal so eins gespielt, auch manchmal weil die Leute das haben wollten, aber letztendlich hieß es in der Band "So, was ist mit neuen Themen, wer hat ein neues Stück? Was können wir jetzt noch spielen, was nicht auf der Platte ist, oder was wir schon immer mal angespielt haben aber noch nicht für die Platte benutzt haben, - jetzt könnten wir daran mal weiterarbeiten und gucken was wir damit machen".

MM: Das finde ich ja sehr interessant, und im Studio? Habt ihr da eher dann aus vorhandenem Material ausgewählt oder wie habt ihr das da gemacht?

MW: Ja, da war dann schon ein bischen vorher klar, daß wir die und die Stücke aufnehmen, nur, ja, es wurde natürlich daran gefeilt wie, in welchem Sound die Melodie aufgenommen wird und was man vielleicht noch dazu basteln kann, was man live nicht so in dem Sinne machen kann, weil man vielleicht ein paar mehr ist oder weil es nicht genug Leute sind. Im Studio wurden öfters auch mal Leute eingeladen, die dann noch ihren Sound dazugeben durften, und die Improvisationen waren dann dementsprechend offen. Da wurde halt eben gesagt "Schau, daß du nicht über drei Minuten kommst, das Stück soll nicht so lang werden auf der Platte". Das war vielleicht die einzige Vorgabe, daß es nicht so, wie live, ausgespielt wurde, je nach Gefühl und je nach Stimmung, sondern da wurde dann gesagt "Naja, gut, das Stück soll nur ein Kurzes sein, also vielleicht spielt nur Edgar ein Solo und dann ist gut". Dann haben die anderen gesagt "Schade, ich würde auch gern eins spielen". (lacht) Das war dann immer das Gerangel, wer bei welchem Stück das Solo spielen darf oder ob dann noch jemand irgend wo was extra machen darf oder nicht, und das wurde kurz ausprobiert, wenn das nicht schön genug war wurde es gleich weggeworfen, fertig! Man mußte sich sozusagen selber darauf vorbereiten, was man noch so gerne irgendwo gespielt hätte, das war noch möglich.

MM: Das ist ja wahrscheinlich typisch für solche Geschichten auf dieser Basis. Zum Thema "Aufnahme": da ist dieses eine Stück, auf "EMBRYO´s Reise", "Es ist, wie es ist", und da habe ich mich immer gefragt, ob die Live-Aufnahme im Bus im nachhinein inszeniert ist. Denn das kommt ja, auch mit diesen Radio-Einsprengseln, und was da auch im Radio läuft, das kommt ja wirklich perfekt in den Kontext eingebunden rüber, und ich frage mich da, war das authentisch oder ist das nachher nachempfunden?

MW: Also ich glaube, soweit ich mich erinnere, ist das auf der Indien-Reise und da war ja eine Film-Crew dabei, da war ein Tonmann dabei, der Brian, der hat also ständig aufgenommen. Der ist wirklich morgens aufgestanden und nur noch mit dem Tonbandgerät durch die Gegend gelaufen und der hatte solche Sachen auf Tape und ich denke mir, die sind dann durchgehört worden und da hat man dann halt gesagt "Oh, die Stelle ist gut, das ist gut, das könnten wir doch als Sound da davorbauen" und vielleicht sogar noch ausgecheckt am Instrument "Ah, das geht in die Tonart, na gut, dann machen wir das Stück in der Tonart, dann geht das ganz sauber rüber". Also, das waren schon Aufnahmen, die immer so am Rande gemacht wurden.

MM: Also, daß dieses Stück, wo wie gesagt, dieser Dialog kommt, am Steuer sitzend mit Radio an, und dann geht es über in so ein ziemliches Punk-Stück mit der Textpassage "Einmal ganz wo anders gewesen sein, das haut ganz schön rein!". Das Stück ist ja wirklich ziemlich punkig ...

MW: Jaja, das war für uns glaube ich auch ein bischen nach dieser Indien-Reise, da war ja hier mehr Punk, - also gut, nach acht Monaten in anderen Ländern zu sein ist ja auch ..., - z.B. das Schlagzeug kam uns hier halt ultrabrutal vor, weil ja die meisten Schlagzeuger nur das Timing halten und es kommt einem dann vor ein bischen wie Maschinengewehr, auch diese Rock-Wirbel die da waren, weil ja die Drummer in den anderen Ländern viel sanfter damit umgehen. Und dann war das im Endeffekt ein bischen eine Antwort da drauf, "Ach so, jetzt ist gerade Punk, ja, sowas können wir auch machen!". Wir haben eine eigene Art von Texten, ohne sich jetzt genau damit zu beschäftigen was der Punk eigentlich will, oder so. Da wurde nicht so genau recherchiert, sondern man hat hier und da auf Festivals Punkbands gesehen und hat dann sozusagen eine eigene Version gemacht, weil dieses "Eigene" war bei EMBRYO sowieso immer das Wichtige.
[...]

MM: Ich habe hier in einem Lexikon ein schönes Zitat gefunden: "Wir hoffen, so Christian Burchard, durch ständige Konfrontation mit anderen musikalischen Umgebungen in unserer Entwicklung weiter zu kommen." (aus: "Ehnert, Günther: Rock in Deutschland", Taurus Press Hamburg, 1979, S. 68). Hat das denn funktioniert, deiner Meinung nach? Also, daß die Reise wirklich ein entscheidender Auslöser für eine neue Entwicklung war?

MW: Na ja, es gab schon vorher immer ein bischen diese Sichtweise Richtung Osten, also Richtung Indien, denn alle Gruppen schauten nach Amerika und weil wir dann immer der Meinung waren, na gut, dann müssen wir woanders hinschauen, das kann uns dann unterscheiden von den anderen, weil, jeder hatte irgendwie Paranoia, daß, wenn wir so klingen wie eine andere Band, dann wird´s uns nicht mehr lange geben, dann sind wir eine unter vielen. Es war ja auch dieser Drang, oder es war vielleicht auch die Erfahrung aus der Jazz-Szene, daß man halt seinen eigenen Sound kreieren muß, seine eigene Art zu spielen, ansonsten lohnt sich´s nicht, weil die anderen Sachen gibt´s schon. Die Amerikaner sind sehr stark, haben sehr viele Sounds rausgefunden, und im Endeffekt ist man kein "Exot", wenn man nicht eine eigene Richtung hat. Ich glaube, daß das so ziemlich der Grund war damals warum man unbedingt anders spielen wollte.
Ich hab´ das auch sehr stark gesehen an anderen Pianisten, die parallel zu uns waren, die haben dann manchmal HANCOCK nachgespielt, also bei MISSUS BEASTLY zum Beispiel, das hat dann im Endeffekt aber dazu geführt, daß sich das verlaufen hat. Nach ein paar Jahren haben die Leute dann doch mitgekriegt, ja Mensch, HANCOCK ist doch besser, wenn ich den anhöre, und geht noch mehr ab und ist noch interessanter! Also irgendwas ist da doch dran, was da mehr ist, und diese Weiterentwicklung haben diese Gruppen oft nicht geschafft, weil die dann immer in dieser Abbildung blieben und das immer nachgespielt haben. Der Einfluß, der dann in den anderen Ländern entsteht, daß man einfach in dieser Sound-Umgebung ist, wenn man da hinfährt, daß einem andere Musiker begegnen, die ganz anders spielen. [...]
... daß immer Gäste mitspielen, das war eines der Grundkonzepte, - z.B. dadurch kam die Nigeria-Connection, das war ein ganz deutliches Beispiel dafür - ... das Afrika-Institut, der Professor Ulli Beier war da, mit einem nigerianischen Trommler, der kam in der Pause in die Garderobe und meinte, "Das ist ja erstaunlich was ihr da macht" und wir haben dann gesagt, "Naja spiel doch gleich mit, hol die Trommel, du kannst im zweiten Set gleich mitspielen."
Das war immer so dieses Konzept: daß jederzeit jeder mitspielen kann, und wir haben dadurch diese ganze Nigeria-Crew kennengelernt und unsere Afrika-Connection gekriegt, weil die einfach ... die wollten mit anderen Gruppen spielen und da haben die Gruppen immer gesagt "Ja da müssen wir erstmal proben!". Was ich auch nicht verstanden habe, denn als Trommler kann man doch sofort mitspielen, jeder Perkussionist kann doch irgendwie ..., gut, die sind keine Perkussionisten in dem Sinne, aber trotzdem! Die waren halt so begeistert davon, daß es so eine Gruppe (wie EMBRYO) gibt, die so eine "offene Bühne" hat, das war phänomenal für die.
Da gibt´s im Internet so eine Seite, [da hat jemand aufgelistet], da haben 380-400 Musiker inzwischen bei EMBRYO mitgespielt, wahrscheinlich inzwischen sogar noch mehr, es ist ´ne alte Internet-Seite. [lacht] Das kommt daher, weil EMBRYO immer gesagt hat "Ja, komm vorbei, spiel mit. Kannst du spielen? Klar, dann komm! Traust du dir´s zu?". Weil die, die sich´s nicht zutrauen, die kommen dann sowieso nicht auf die Bühne. Die sagen "Uh, das ist mir zu undurchschaubar" oder "Die spielen zuviel krumme Takte, das kann ich nicht" oder so. Die sind dann eh von sich aus vorsichtiger. Von daher waren da immer viele Gäste und viele Gäste auch aus der Jazz-Szene, weil Christian zwar eben mit MAL [WALDRON] früher gespielt hat, aber die dann auch gesehen haben "Aha, die Band hat einen eigenen Sinn drauf, das zählt dann doch irgendwie auch zu Jazz". Zumindest zu einer Art von freier Musik. Ich meine, die haben sich immer gesträubt, mit dem ROCK, das war irgendwie noch nicht ihr Ding, aber auf der anderen Seite gab es auch die Neugierde "Naja, wie spielt man denn da?". Wenn da nicht das Swing-Feeling drunter liegt ...
Es hat einige schon immer interessiert, und da gibt es Freunde und Bekannte bis heute, die immer noch gerne aushelfen und immer noch mal ein paar Gigs mit EMBRYO spielen. Gut, die Bedingungen sind dann für die anders, aber ... - na das kommt jetzt zu detailliert, da müßte ich jeden Einzelnen durchgehen.

MM: Dieses Konzept von offener Musikergemeinschaft, hat sich das denn auch im täglichen Leben irgendwie abgespielt, war das denn auch ´ne Musikerkommune? Haben da die Leute zusammen gelebt?

MW: Also diese "alte Familie", wenn man das so sagen kann, damals, wir haben da in der Öfelestraße in München gewohnt, eine dreistöckige, kleine ehemalige Hutherstellungsfabrik, da war die Haustür z.B. immer offen. So daß dann auch ... - manchmal kam man in die Küche und da saß dann plötzlich jemand und [sagte] "Hallo, ich kenn euch aus Italien, von dem und dem Konzert und wollte euch mal besuchen" und das war auch immer o.k., das war eben diese Hippie-Zeit, wo alles offen war und das war in Ordnung. Irrerweise ist auch nie was geklaut worden. Also man hätte locker auch rein ins Haus und Verstärker abziehen können, die gleich unten an der Tür standen! Das war damals einfach nicht angesagt. Selbst Roadies kamen ja und sagten "Darf ich bei euch helfen?". Die haben nicht nach Geld gefragt, sondern haben gesagt "Wir möchten gern mit ner Band zusammen sein, und ihr seid dufte, ich hab euch gesehen live, ich würde gern für euch die Verstärker schleppen" oder so. Das ist heute unvorstellbar. [lacht] Und so gab es immer Leute drum herum, die halt ... - was weiß ich, da kamen mal Frauen vorbei, die haben gesagt "Ich koch euch was heut abend!" und so, also die Wohngemeinschaft wurde immer betüttelt und ich glaube, das hängt vielleicht dann auch viel damit zusammen, daß wir auch dann nette Konzerte abgeliefert haben, die die Leute schon begeistert haben und wodurch die Leute Fans wurden davon und irgendwas mit der Band zu tun haben wollten, egal wie. "Hauptsache wir lernen die kennen und schauen mal wie die das machen."

MM: Wieviel Leute haben da zusammengewohnt in dem Haus?

MW: Na, wir waren fünf Leute, sechs Leute, mit den beiden Roadies, ein Roadie hatte Familie ... Dann lebte auch mal ein Schriftsteller bei uns [...] und es haben auch ein paar extreme Typen mitgewohnt, wenn da irgendwas frei war, und manchmal wurden es auch ein paar mehr und es kamen andere Bands vorbei, die übernachtet haben. Wir haben am Anfang in einem Zimmer geschlafen und waren Tag und Nacht zusammen. Was dann auch dazu führte, daß man mal in der Küche warten mußte, bis irgend jemand mit seiner Geliebten zurecht kam, oder so. Aber es war dieses ununterbrochen-zusammensein, Tag und Nacht.

MM: Wie lang hast du da gewohnt?

MW: Ich habe schon vor EMBRYO da gewohnt und ich würde sagen 10 Jahre waren wir auf jeden Fall da. Ich bin dann mal zu meiner Freundin gezogen, dann war ich nur in der Nähe, aber ... das Haus hat existiert bis vor wenigen Jahren. Da haben immer noch Musiker gewohnt, - und es ist inzwischen verkauft worden und ich glaube jetzt mußten alle ausziehen, mit dem neuen Besitzer, aber es hat noch sehr lange durchgehalten. Ein ehemaliger Musiker und auch sonstige Freunde und Bekannte haben das Haus immer noch übernommen gehabt, am Schluß.

MM: Irgendwann kam es dann zu einer Abspaltung, da warst du dann, relativ kurzzeitig, glaube ich, bei den DISSIDENTEN? EMBRYOS DISSIDENTEN hießen die doch zum Anfang. Wie kam das denn?

MW: Das kam dadurch, daß nach der Indien-Reise plötzlich herauskam, daß wir doch einiges Geld hätten verdiet haben müssen und das auf dem Konto hätte sein müssen und es wurde dann nicht so geklärt, weil da gab´s dann Rivalitäten zwischen Friedemann [Friedemann Josch, später bei den DISSIDENTEN] und Christian. Also Friedemann hatte dann so Bestrebungen, die Band zu übernehmen. Da ist er natürlich auf Granit gestoßen, erstmal weil sein musikalisches Können meilenweit davon entfernt war, sowas überhaupt machen zu können und damals war eben eigentlich auch diese finanzielle Seite immer unwichtig für alle. [...] Aber dann hat Uwe als Bassist auch gesagt "also ich möchte es wissen" und "das gefällt mir nicht", und hat dann angefangen "wir machen ´ne eigene Band", und hatte das schon vorher immer im Kopf, - und ich fand das auch nicht so gut, daß das nicht geklärt wurde und es war einfach so ´ne Sache "gut, lass uns mal was anderes probieren".
Und dann haben wir die DISSIDENTEN gegründet, haben dann eigentlich diese Indien-Reise in kleinerer Form wiederholt. Dann allerdings sind die DISSIDENTEN zu keinem Schlagzeuger gekommen danach, darauf bin ich dann wieder nach München und hab´ wieder bei EMBRYO gespielt, weil ich wollte spielen! Und die DISSIDENTEN hatten schon von vornherein die Idee ´ne Pop-Band zu gründen und da geht´s halt dann eher um die Kleidung und um "Was für eine Gesellschaftsform gründet man jetzt?" und solche Sachen waren plötzlich wichtig und das hat mich wirklich Null interessiert, ich wollte einfach spielen, und daß sich aus dem Spielen ergibt, was man wird. - Und da war ich dann bei den Dissidenten aber falsch, weil die hatten ´ne ganz klare Konzept-Sache im Kopf und dazu ist es ja auch geworden, letztendlich.

MM: Wann war das, also daß du die DISSIDENTEN wieder verlassen hast?

MW: Ich denke, daß ich da nur ein Jahr war, ein oder eineinhalb Jahre, also nicht so lang. Weil, danach war dann auch erstmal Pause, nach mir, und von einem Manager aus Göttingen wurde die Gruppe wieder zusammengeführt, mit Marlon, den er dann sozusagen dazu verpflichtet hatte und dadurch sind die DISSIDENTEN dann überhaupt erst in die Gänge gekommen. Ich glaube, die wären sonst dann gleich wieder untergegangen.

MM: Mit dem Stichwort "Gesellschaftsvertrag" kam ja schon mal so eine Art geschäftlicher Seite zutage. Was ich jetzt interessant fand, ihr habt ja versucht einen eigenen Schallplattenvertrieb zu organisieren, das war die Sache mit APRIL, woraus dann später SCHNEEBALL wurde. Wie kam denn das?

MW: Ja, es gab ein Vorbild: die TON STEINE SCHERBEN. Die haben uns auch dann beraten, das in Eigenregie zu machen, und dann gab es eben verschiedene Bands in Deutschland, die glücklicherweise alle schön verteilt waren, vom Norden bis zum Süden und dann hat jede Gruppe von der anderen Gruppe die Schallplatte gehabt und hat sie in ihrer Gegend direkt verkauft. Ich weiß auch noch, daß wir durch Bayern fuhren, von Dorf zu Dorf und guckten, ob da ein Plattenladen war, da rein gingen und sagten "So, wir haben hier ein kleines Sortiment, wollen sie das nicht mal versuchen zu verkaufen?". Und das haben alle anderen Gruppen in Deutschland auch gemacht, und dadurch war das auch dieses "Musik im Vertrieb der Musiker". Das war am Anfang der Startschuß dafür. Dann entwickelten sich langsam Leute, die gesagt haben "Ach, da kann ich auch für euch machen, ich fahr durch Bayern", und dann haben die sich wiederum später zusammengetan, und dadurch ist dann auch die Umbenennung zu SCHNEEBALL [zustandegekommen], weil, da war dann auch von TON STEINE SCHERBEN der Nikel [Pallat], der inzwischen von EFA [Tonträgervertrieb] der Chef ist, die haben in Hamburg ein Hochhaus inzwischen, die sind ja, glaube ich, der größte Independent-Vertrieb Deutschlands geworden.

MM: EFA ist doch Pleite gegangen, letztes Jahr, oder?

MW: Warte mal, jetzt muß ich überlegen ... - nee, INDIGO! Die haben sich dann wieder geteilt von EFA und haben INDIGO gemacht, und das ist ja inzwischen ein Riesending geworden. Aber der Saxofonist von den Scherben [Nikel Pallat] ist immer noch der Chef davon.

MM: Ihr hattet vermutlich den Vorteil, daß bei diesem frühen SCHNEEBALL-System dann entsprechend mehr ´rauskam, wenn die Platten auf die Art und Weise von den Musikern direkt verkauft wurden.

MW: Ja, weil wir selber dann erstmal sozusagen der Einzelhändler waren, oder der Großhändler. Die Werbung wurde größer, und das Glück war vielleicht auch, daß es so viele kleinere Gruppen waren, die sich sozusagen mit an EMBRYO drangehängt haben, ein ähnliches Konzept in der Lebensführung hatten, und dadurch auch die gleichen Vor- und Nachteile in ihrer Plattenherstellung und Vertrieb hatten. Das Problem war einfach, daß die Plattenfirmen damals schon, als sie sich bewußt wurden, aha, wir sind jetzt eine Plattenfirma, was ja am Anfang nicht so ganz existierte, dann doch anfingen irgend welche Bedingungen zu stellen. Die Bedingungen bei EMBRYO, also da gab es ja irgendwann mal Dierks Studio, die dann meinten, "Ja, ihr könnt mal bei uns aufnehmen, wir haben ein ganz tolles Studio, hier kommen auch die Stones vorbei, aber ihr müßt dann natürlich die GEMA an unseren Verlag abgeben", und da haben wir von vorherein gesagt "Nee nee, das ist immer alles für uns, wir bestimmen, was da drauf kommt, wir verdienen das Geld, das bleibt alles in unserer Hand!". Dadurch hatten wir dann keinen Kontakt zu diesen kleinen Plattenfirmen oder sowas, sondern wir waren eher darauf erpicht zu sagen, wir nehmen auf was wir wollen und uns redet keiner rein und dann wollen wir am Schluß auch schauen, daß wir das Geld alles kriegen, und nicht irgendeiner was dran verdient, der eigentlich nicht soviel dafür tut, oder tun würde.

MM: Und mit diesem Verkauf nach diesem ursprünglichen Prinzip, Musiker verkaufen Produktionen der Musiker, hat das funktioniert?

MW: Jaja, das hat funktioniert, weil ja die Gruppen selber dann auch emsig unterwegs waren, also auch live die Platten verkauft haben, in der Pause oder auch nach dem Konzert, und das ging ziemlich gut. Es wurde nur dann ... irgendwann mal wurden natürlich alle müde jetzt wieder in irgend ein Dorf zu fahren oder in die Vorstadt und irgendwo dann den Plattenladen zu beliefern und man war froh, daß es Leute gab, die halt sagten "Ja, laß mich das doch machen, ich nehm´ auch nicht soviel dafür, aber, du weißt ja, Spritgeld brauch´ ich ein bischen, und ich schau dann schon, daß ich damit durchkomme", und die haben sich teilweise auch dann andere Gruppen noch dazu geholt und wurden dann selbständige Schallplattenvertreter. Bis hin zu [dem], daß wir dann nur noch so ein kleiner Teil sind, wie bei INDIGO. In letzter Zeit ist jetzt nichts rausgekommen, aber EMBRYO ist dann immer noch bei INDIGO rausgekommen, aber, nun gut also im Katalog sind wir da natürlich weit abgeschlagen von irgendwelchen englischen Produktionen oder was die sonst noch vertreiben. Es hat sich dann schon auch ein bischen dahin entwickelt, daß die dann zwar geholfen haben EMBRYO-Platten rauszubringen, aber dann auch nicht mehr im Plattenladen als erstes gesagt haben "Ihr müßt jetzt erst mal ´ne EMBRYO-Platte nehmen, sonst geben wir euch keine von den anderen Platten", sondern die haben dann eher am Schluß gesagt "Naja, und EMBRYO hätten wir dann auch noch ...". Na gut, so hat sich´s dann entwickelt.

MM: Wie ist das denn gegenwärtig, also die letzte Zeit, wie war der Vertrieb da organisiert?

MW: Na der Vertrieb wurde also verschoben, teilweise gab es dann andere Leute ..., eine zeitlang wurden die Platten von Andorra aus verteilt. Gerade als die CDs aufkamen gab es mal einen dicken Schub, das hatte wahrscheinlich den Grund, daß man dann die GEMA auch nicht mehr bezahlen wollte oder daß man halt rauswollte aus den Steuern oder was auch immer. Das weiß ich jetzt nicht mehr so genau, ich hab´ das nur irgendwann beobachtet und dachte mir "Na gut, jetzt kriege ich ja nicht mal mehr GEMA für mein Stück, weil das irgendwo auf irgend einer Insel erscheint. [lacht] Es hat sich aber inzwischen auch schon wieder erledigt und jetzt ist es eigentlich so, daß Christian Live-Aufnahmen macht, teilweise sogar nur mit einem Mikrophon, und die Sachen dann selber brennt und direkt beim Konzert verkauft. Also die Sachen sind garnicht mehr im Handel und die alten Sachen ... nun gut, ich denke mir, daß die "REISE" noch im Handel ist, aber ich denke mir, daß von den sonstigen Platten auch der Absatz komplett gesunken ist, also daß da nicht mehr viel unternommen wird. Aber die ... - ja, Bootlegs kann man es nicht nennen, es sind eigentlich Eigenproduktionen, die direkt selber auch verkauft werden, ohne Vertrieb und das ist wieder finanziell lukrativ und auf der anderen Seite ist es halt auch ... man hat mit dem ganzen Apparat nichts mehr zu tun, was, glaube ich, Christians Ziel heutzutage ist.

MM: Das ist für mich erstaunlich, weil sich ja da im Prinzip tatsächlich so ein Geist von radikaler wirtschaftlicher, also ökonomischer Gegenkultur konserviert hat.

MW: Naja klar, es ging immer darum, daß wir die Musik machen wie wir Lust haben und aufnehmen oder rausbringen was wir Lust haben, in was immer für einem Sound, und daß natürlich das Geld auch uns selber in die Taschen fließt, weil man immer wieder in die Situation kam ..., was schon damals mit Managern angefangen hat, die dann gesagt haben "Ja, ihr braucht jetzt ´ne Light-Show" oder "Ihr müßt euch anders anziehen auf der Bühne", was sofort zur Konsequenz hatte, diese Manager waren dann binnen drei Wochen entlassen, wenn sie weiterhin auf diesem Trip blieben. [lacht] Niemand redet da rein, also niemand soll irgendwas sagen, sondern die Gruppe macht es nach ihrem Geschmack!
Ich weiß noch, ich habe bei einer Aufnahme in München später noch mal mitgemacht, und da hab ich dann gesagt "Naja, du könntest alles mal über einen Kompressor fahren, daß es so eine gewisse Radio-Tauglichkeit hat, weil die wollen das immer mit so einem gewissen Druck". Und da hat Christian mich angeguckt "Mit was für´m Ding?". Also das war wie "Du redest über irgendwelche technischen Geräte im Studio, die uns null interessieren, uns interessiert das Mikrofon, und daß es auf Band ist, und danach machen wir das dann schon mit dem Mix, aber ein Kompressor oder sowas, das ist schon fast Verfälschung". Gut, aber die Musik ist inzwischen auch sehr akustisch und sehr ethnologisch oder sehr eigensinnig geworden und man beachtet solche Sachen überhaupt nicht, es interessiert auch niemanden, was da Radio-tauglich oder sonstwas ist. Das ist alles irrelevant, weil es zählt nur: "Wie schön ist die Melodie", oder "Sollte man die rausbringen, ist die interessant?" oder "Ist das gut oder das?" oder "Nee, spielen wir es lieber anders, dann ist es noch interessanter", darum geht´s eigentlich.

MM: Wie ist denn das, was hörst du denn gegenwärtig im Radio? Also wenn du jetzt mal ´ne CD auflegst, oder du schaltest das Radio ein, welche Musik interessiert dich gegenwärtig?

MW: Na, ich muß sagen, ich habe jetzt gerade dreissig Cassetten aufgenommen von der Sammlung von dem Max, von den POETS OF RHYTHM. Der hat sich ´ne große ethnologische Sammlung angeschafft, und die habe ich mir erstmal alle auf Cassette kopiert, weil da sind auch so 50er-Jahre Aufnahmen dabei. Das ist so die eine Richtung. Dann höre ich gern SUN RA und diverse Jazz-Leute, die jetzt speziell meine favorites sind. Gut, morgens schalte ich dann manchmal Multikulti-Radio an, da ist ein bischen Nachrichten dabei oder auch gelegentlich mal ´ne neue Platte, die angespielt wird. Aber das höre ich auch schon lieber nachts, weil da sind bessere Sendungen, die kommen dann so Europa-weit. Na gut, Jazz-Radio höre ich auch mal zwischendurch, aber die Qualität da ist auch schon sehr gesunken und sehr mainstreamig geworden und naja, da lege ich dann schon lieber wieder selber ´ne Cassette auf. Und dann habe ich natürlich auch ... ich habe jemanden, der für mich Sachen aufnimmt, der selber Plattensammler ist und dadurch kriege ich da immer Nachschub. Dann muß ich das durchhören, auf jeden Fall!

MM: Nun ist es ja so: wenn es dieses, seit Mitte der 90er, seit Julian Copes Buch "Krautrocksampler" entstandene riesige Krautrock-Revival nicht gegeben hätte, würden wir möglicherweise garnicht hier sitzen. Hatte der Begriff "Krautrock" denn damals in der Zeit Ende der 70er für euch noch irgendeine Bedeutung? Oder wie ist es jetzt, welche Bedeutung hat der Begriff "Krautrock" und dieses Revival für dich jetzt, was verbindet sich für dich mit dem Begriff?

MW: Damals war das eher so, daß man beobachtet hat was eben so im Land läuft. Also wir waren sehr stark Schwarze-Musik-Hörer, also von Soul und Funk und was es da alles so gab, hauptsache die Musiker waren schwarz. Weil, wenn schon [Musik] aus Amerika hören, dann nur schwarze Musik, das war die oberste Devise, und ... [wir haben] auch viel Jazz gehört, was immer die Leute sehr verblüfft hat, wenn die dann an den Bus kamen und wir hatten unser Konzert beendet, was wir dann denn da hörten, weil wir das ja garnicht spielten, was die da alles spielten. Wir haben halt immer so Jazz-Sachen gehört. Das hat sich dann langsam entwickelt zu ethnologischer Musik, über Indien, Arabien wurde halt das dann studiert und da wurden dann Platten gesammelt oder Aufnahmen gesammelt. Auch wie wir halt in den Ländern waren wurde kräftig eingekauft und dementsprechend wurde nach solchen Musikern geguckt, und Krautrock, das war dann halt "Ach so, das ist jetzt hier in Deutschland in, aha, gut, naja, was machen die denn so, naja, das können wir auch". Also es wurde dann auch mal "krautig" gespielt, wenn man in irgendeinem Jugendheim war, wo man das Gefühl hatte "Oh, die sind hier alle Krautrock-Fans, na gut, dann machen wir heute mal so einen Kraut-Abend für die".
Also wir sind immer ein bischen so darauf eingegangen, was so denn da so anlag, soweit es möglich war. Man konnte das "Punk-Stück" z.B. auch mal leiser und soft spielen, dementsprechend konnte man natürlich irgendwelche neuesten indischen Melodien auch Heavy-Metal-mäßig spielen, also z.B. afghanische Melodien eignen sich sehr gut als Heavy-Rock-Nummer! Und so wurde das immer so ein bischen so "Ja, gut, wenn das hier eben gerade so in ist, prima, aber wir sind eigentlich ... wir hören ganz andere Musik und wir sind eigentlich nur auf der Suche nach neuer Musik". Vielleicht hat man hier und da mal was gehört und hat gedacht, "Ach, das was die da machen ist doch ganz nett, und so, das ist ja interessant, wie machen die das". Es kann schon sein, daß das auch mit beobachtet wurde.

MM: Es ist ja so, ihr werdet ja zweifelsfrei, wenn man heute auch in irgendwelche Plattenläden geht, in der Schublade "Krautrock" sortiert. Andererseits: andere Gruppen laufen dann unter Esoterik, [New Age, Wellness-Musik], TANGERINE DREAM oder so, die findet man im Laden oft unter Esoterik, aber EMBRYO findet man in Läden, z.B. den ganzen second-hand-Plattenläden, bei "Krautrock". Ihr habt euch aber anscheinend da nie als Bestandteil dieser merkwürdigen "Krautrock"-Szene betrachtet, wie ich jetzt gerade höre?

MW: Ja also nicht direkt. Kann sein, daß wir mal mit CAN auf irgendeinem Festival gespielt haben, oder mit GURU GURU und was es da alles so gab, aber die waren jetzt z.B. auch nicht in unserem Schallplattenverteilungssystem, also die waren garnicht so die Bands die so mitmachen wollten mit anderen Gruppen. Von daher waren die jetzt nicht so interessant für uns, weil da gab es irgendwie keinen direkteren Kontakt zu den Musikern. ... Ja, der Teil, daß die Leute das oft so sehen wollen heutzutage, glaube ich, das hängt damit zusammen, daß die EMBRYO in dieser Zeit mal gesehen haben. Es gibt ja immer diese Leute, die dann schon manchmal zehn Jahre oder so älter sind wie ich, die dann sagen "Ja, ich hab EMBRYO ´ 76 in Wuppertal gesehen, weiß ich noch genau" und so. Ja und damals hat EMBRYO vielleicht in der Art schon gespielt und diesen Sound mit benutzt. Oder ... gut, der eine meinte, Roman spielt wie Jimy Hendrix, der eine meinte, er spielt ziemlich krautrockig oder so. Das kommt dann immer darauf an, wie das Gehör so funktioniert, aber ich denke mir, danach haben die dann aufgehört, das zu hören und haben dann, wie man ja heute auch sieht, da kommt dann Krautrock [in einem Fernsehbeitrag] und das ist dann CAN. Ja weil CAN halt dann immer wieder in den Medien war und immer wieder erwähnt wurde, deswegen ist es für die ... da sind die dann drangeblieben. Die hatten mehr Werbung, die haben das durchgehalten über Jahre, ´ne gleiche Art zu spielen. Bei EMBRYO war halt immer die Sache, daß die Leute dann auch manchmal beim zweiten Mal beim Konzert da waren und die Gruppe war völlig anders. Irgend ein Afrikaner hat mitgetrommelt und die konnten plötzlich nicht [verstehen] "Wie, das ist EMBRYO, wie, die spielen ja ganz anders als damals?" und so. Und dann war das oft für die dann "Ja, nee, äh, ich möchte die ja so haben, wie ich die in Erinnerung habe" und da sind sie meistens schwer enttäuscht worden bei EMBRYO. Weil es wurde immer anders. Selbst Vorschläge, die noch in der alten Familie waren, [wie] "Mensch, das eine Stück, das hat so einen guten Sound, das passt so gut heutzutage, lasst uns doch ein ganzes Album machen, nur in dem Sound, das wär doch mal was, alle Stücke so in der Art", das wurde sofort abgelehnt! "Nein, nein, wir haben den Sound erfunden, danke, lasst uns weiter suchen nach dem nächsten", - es wurde nie was festgehalten, sozusagen. Es war immer der Anspruch "Ja, gut, schön daß wir´s erfunden haben, können wir ja immer mal benutzen, aber was haben wir sonst noch auf Lager?", das war immer die Frage.
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Vielen Dank an Michi für die Erlaubnis zur Veröffentlichung! - Manfred Miersch.